neulateinische Literatur

neulateinische Literatur
neulateinische Literatur,
 
die lateinische Literatur Europas in der Neuzeit. Sie entstand in Italien unter dem Einfluss des Humanismus seit etwa 1350 und löste in einem langen Verdrängungsprozess bis um 1500 die mittellateinische Literatur ab, breitete sich im 16. Jahrhundert über das gesamte christliche Europa aus, behauptete sich im 17. und 18. Jahrhundert als letzte übernationale, vorwiegend gelehrte Literatur, brachte aber ab 1800 nur noch wenige Dichtungen und wissenschaftliche Schriften hervor. Ihre Sprachform ist das weitgehend von den italienischen Humanisten durch Rezeption von klassisch-antikem Wortgebrauch und Stil geschaffene Neulatein (neulateinische Sprache).
 
 Grundlagen
 
Als Väter des Humanismus, der wie andere geistige Bewegungen im Spätmittelalter (Mystik, Devotio moderna) einen Versuch zur Überwindung der religiösen und gesellschaftlichen Krisen der Zeit darstellte, und damit auch als Begründer der neulateinischen Literatur gelten F. Petrarca und C. Salutati. Petrarca wies mit seiner Begeisterung für die Antike, v. a. für Cicero, und mit dem Ruf nach geistiger und politischer Erneuerung den Weg und setzte durch programmatisch wirkende Dichtungen und Prosaschriften Maßstäbe für fast alle Gattungen der neulateinischen Literatur. Salutati, seit 1375 Staatskanzler in Florenz, verhalf den »Studia humanitatis« zum Durchbruch, indem er ihre Anhänger förderte, das Sammeln von Handschriften und die Einrichtung von Bibliotheken anregte, das Übersetzen griechischer Autoren (durch Berufung von M. Chrysoloras, 1397), die Textphilologie und Gespräche über wissenschaftliche oder philosophische Fragen initiierte.
 
So suchte man im 15. Jahrhundert eifrig nach handschriftlichen antiken Werken (G. F. Poggio Bracciolini, Bessarion), schrieb die lateinischen teils in imitierter karolingischer Minuskel-, teils in humanistischer Kursivschrift (geschaffen von Niccolò Niccoli, * 1364, ✝ 1437) ab und übersetzte die griechischen (L. Bruni, P. C. Decembrio), entwickelte textkritische und philologische Methoden, z. B. L. Valla in seinem grundlegenden Werk »Elegantiae linguae latinae« (um 1440) und A. Poliziano in seinen Ausgaben und Kommentaren zu antiken Autoren. Bruni und P. P. Vergerio der Ältere begründeten die humanistische Geschichtsschreibung beziehungsweise Pädagogik, M. Vegio und Flavio Biondo (* 1392, ✝ 1463) die klassische Archäologie, L. B. Alberti Kunsttheorie und Architekturgeschichte. Relativ spät entstanden neue Schulgrammatiken, Verslehren und Sachlexika (N. Perotti), noch später die früheste wissenschaftliche Grammatik und Poetik (beide von J. C. Scaliger). In der Metrik waren für die überwiegend verwendeten antiken Versmaße (besonders Hexameter, elegisches Distichon) die klassischen Dichter selbst das Vorbild.
 
Alle literarischen Gattungen der Antike wurden wieder aufgenommen und fortgeführt; nach dem Beispiel Petrarcas betätigte sich fast jeder humanistische Lehrer, Gelehrte oder Dichter auf nahezu allen Feldern der Prosa und Poesie. Man drückte persönliche Gedanken und Empfindungen im philosophischen Dialog oder in lyrischen Formen aus, stellte die eigene Zeit durch Historiographie, Biographie, Panegyrik oder Satire dar. Man pflegte auch die geistliche Dichtung und nutzte im 16. Jahrhundert die dramatische Form zu Belehrung und konfessioneller Polemik (Bibel-, Reformations-, Jesuitendrama). Entsprechend dem humanistischen Bildungsziel und Freundschaftsideal wurden die eher kommunikativen Gattungen (Brief, Dialog, Schülergespräch, persönliche Lyrik) bevorzugt. Über das antike Vorbild hinaus entwickelten sich inhaltlich bestimmte, individuelle Formen wie Epithalamion, Epicedion, Enkomion (Hochzeits-, Trauer-, Reise-, Lobgedicht); allen Poeten galt die Dichterkrönung als höchste Auszeichnung.
 
Die Durchsetzung der »Studia humanitatis« gelang in Italien dank den Bemühungen Salutatis und seiner Nachfolger in Florenz eher als anderswo in Europa. Getragen von meist akademisch Gebildeten, entstanden in Städten (z. B. Padua, Siena, Venedig), an Fürstenhöfen (u. a. der Este in Ferrara, der Medici in Florenz, der Visconti und Sforza in Mailand), am Königshof von Neapel und an der römischen Kurie humanistische Zirkel (»Sodalitas«, Vorläufer der Akademie). Charakteristisch für die literarische Kultur dieser Kreise waren der geistige Austausch und das wissenschaftliche Gespräch, das Schreiben und Dichten füreinander, aber auch Polemik und Invektive gegen Konkurrenten und anders Denkende. Manche ihrer Mitglieder dienten Herrschern und Päpsten als Erzieher, Sekretäre, Gesandte; andere wirkten als Lehrer der Grammatik, Rhetorik, Dichtkunst an den Universitäten. Ihr Ruhm zog seit der Mitte des 15. Jahrhunderts Studenten aller europäischer Länder nach Italien. Durch sie wurde die neulateinische Literatur in ganz Europa verbreitet, ebenso durch den Buchdruck, der die Zahl der Titel (bis 1500 erschienen rd. 500 Werke) und Exemplare gewaltig ansteigen ließ, woran auch Humanisten als Editoren und Drucker (z. B. J. Amerbach und J. Froben in Basel, Guillaume Fichet, * 1433, ✝ um 1480, und die Familie Estienne in Paris, A. Manutius in Venedig) beteiligt waren.
 
 
Trotz früher Ansätze u. a. in Padua, wo A. Mussato seine Tragödie »Eccerinis« nach dem Vorbild Senecas des Jüngeren schrieb und dafür 1315 als erster Autor seit der Antike zum Dichter gekrönt wurde, gilt Petrarca mit seinem lateinischen Werk (z. B. Scipio-Epos »Africa«, »Bucolicum Carmen«, römische Biographien, Briefsammlungen, »Fortuna«-Dialog) als eigentlicher Begründer der neulateinischen Literatur. Salutati zog Talente wie den Historiker Bruni, den Dichter Antonio Loschi (* 1368, ✝ 1441) und Poggio Bracciolini, den Schöpfer der frivol-witzigen Kurzerzählung (»Facetiae«), nach Florenz. Hier entstand unter dem Patronat der Medici, besonders Lorenzos de' Medici, dem Poliziano und M. Marullo feinsinnige Elegien und Epigramme widmeten, die berühmte »Platonische Akademie«. Ihre Gedankenwelt spiegeln die »Disputationes Camaldulenses« (eine allegorische Deutung der »Aeneis« Vergils) des C. Landino; ihr geistiger Kopf, M. Ficino, suchte in der »Theologia platonica« christliche Lehre mit der Philosophie Platons und Plotins zu vereinen, während sein Schützling G. Pico della Mirandola, der 1486 in Rom in 900 Thesen den universal gebildeten, freien Menschen zum Maß aller Dinge erhob und in der großartigen Rede über dessen Würde (»De dignitate hominis«) feierte, der Ketzerei verdächtigt wurde. Dagegen verlor F. Filelfo die Gunst der Medici durch oft zügellose Satiren und Epigramme und ging an den Mailänder Hof zu F. Sforza, dessen Taten er im Epos »Sphortias« pries. Auch die Herzöge von Este holten Humanisten an ihren Hof in Ferrara, u. a. den Philologen Guarino von Verona, der an der Universität die klassischen Studien begründete; sein Schüler T. V. Strozzi knüpfte an die antike Tradition von Ekloge und Liebeselegie an. Diesen übertraf jedoch an Wirkung der Karmeliter Baptista Mantuanus, dessen christliches »Aeglogae« (1498) in Europa zum Schulbuch wurden. Ebenso erfolgreich waren der allegorische Liebesroman »Hypnerotomachia Poliphili« (gedruckt 1499 von Manutius), in dem der Dominikaner F. Colonna eine ideale Traumwelt beschrieb, und die von der Kirche indizierte, episch-satirische Lebenslehre »Zodiacus vitae« (gedruckt 1535) des M. Palingenius Stellatus (* um 1500, ✝ 1543?). Weitere humanistische Zentren entstanden am Königshof in Neapel und an der Kurie in Rom. Gründer der älteren »Neapolitanischen Akademie« war 1435 der durch seine gewagt-erotische Epigrammsammlung (»Hermaphroditus«, 1425) berühmt gewordene A. Panormita, ihr Haupt für lange Zeit G. Pontano, dessen Liebeselegien, Hymnen und astrologische Lehrdichtung »Urania« zum Besten ihrer Art zählen; ihr gehörte auch der Philologe Valla an, der die »Konstantinische Schenkung« als unecht nachwies, sowie der Dichter I. Sannazaro. Beide waren Mitglieder der von Vallas Schüler J. Pomponius Laetus gegründeten, von den Päpsten geförderten »Römischen Akademie«. Hier wirkten u. a. B. Sacchi und P. Giovio als Historiker des Papsttums beziehungsweise der Zeitgeschichte, verfasste M. Vegio sein antike und christliche Bildungsideale verbindendes Werk über Kindererziehung (»De educatione liberorum«), dichtete M. G. Vida Epen über das Schachspiel (»Scacchia ludus«, 1527) und das Leben Christi (»Christias«, 1535); berühmt wurde auch G. Fracastoros Lehrdichtung über Herkunft und Ausbreitung der Syphilis (1530). Sein Freund P. Bembo schrieb ein rein ciceronianisches Latein, aber auch Werke in der Muttersprache. T. Folengo mischte beide Idiome im humorvollen Ritterepos »Baldus« (1517) und schuf damit die makkaronische Dichtung. Außerhalb von Kirche und Jesuitenorden verengte sich die neulateinische Literatur Ende des 16. Jahrhunderts zunehmend auf die Wissenschaften, wofür G. Brunos philosophische Lehrdichtung (1589) und T. Campanellas utopische »Civitas solis« (1623) beispielhaft sind.
 
 Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation
 
Humanist. Denken und neulateinische Literatur gelangten im 15. Jahrhundert auf zwei Wegen in den deutschen Sprachraum: Von den italienischen Teilnehmern am Konzil von Basel (1431-49), die ihren Aufstieg wie später noch andere italienische Humanisten an deutschen Höfen suchten, wurde der lange Zeit für Kaiser Friedrich III. tätige Enea Silvio Piccolomini (später Papst Pius II.) zum eigentlichen Anreger und viel gelesenen Musterautor. In Wien wirkte G. Peurbach mit mathematischen und astronomischen Schriften, sein Werk wurde fortgesetzt von Regiomontanus. Umgekehrt lernten deutsche Studenten in Italien wie P. Luder, A. von Eyb und R. Agricola das neue Bildungskonzept (und die neulateinische Literatur) kennen und verkündeten es in Deutschland als Lehrer und Poeten begeistert in Wort und Schrift, wenn auch wenig erfolgreich; humanistische Kreise wie in Heidelberg um J. von Dalberg (Kanzler der Universität seit 1481), Kloster Adwerth bei Groningen (Agricola), Deventer (A. Hegius) und Münster (R. von Langen) blieben vorerst Ausnahmen. Dennoch gingen aus ihnen die beiden Hauptgestalten des deutschen Humanismus hervor: K. Celtis, der erste (1487) zum Dichter gekrönte Deutsche und von Kaiser Maximilian I. berufene Poetikprofessor in Wien, gab als Gründer literarisch-gelehrter Gesellschaften, als Lyriker (»Amores«) und Historiker (Erstausgaben lateinischer Werke des deutschen Mittelalters, »Germania illustrata«) entscheidende Anstöße zur Bildung eines nationalkulturellen Selbstbewusstseins. Anders Erasmus von Rotterdam, überragender Bibelphilologe und Stilist, der für seine geistreiche Kritik an Scholastik, Kirche, Gesellschaft im »Encomium moriae« (»Lob der Torheit«) und in den »Colloquia familiaria« (»Gespräche«) gerühmt, aber auch angefeindet wurde, weil er sein Ideal nicht in der Reformation, sondern in einem von Moral und Friedenswillen bestimmten christlichen Humanismus sah. Zum literarischen Aufschwung kam es um 1500, gefördert von Maximilian I. und einigen Landesfürsten, zuerst in städtischen Kreisen, dann auch an Universitäten: so in Basel um Erasmus von Rotterdam und den Editor Beatus Rhenanus, in Augsburg um den Historiker C. Peutinger, in Erfurt um Mutianus Rufus mit den Poeten E. Cordus und H. E. Hessus, in Heidelberg mit dem Begründer der deutschen Hebraistik J. Reuchlin, in Nürnberg um den Dürerfreund und Übersetzer W. Pirckheimer, in Straßburg um den Pädagogen J. Wimpfeling und den Dichter des »Narrenschiffs«, S. Brant. Dessen satirische Zeitkritik setzten seine Schüler J. Locher und H. Bebel als Professoren in Ingolstadt beziehungsweise Tübingen fort, dieser auch in der volkstümlichen Form der Schwankerzählung (»Facetiae«), wurden jedoch in der Wirkung weit übertroffen von den 1515-17 anonym gedruckten Epistolae obscurorum virorum, mit denen ihre Verfasser Crotus Rubeanus, H. von dem Busche und U. von Hutten die (Kölner) Vertreter spätmittelalterlicher Scholastik endgültig der Lächerlichkeit preisgaben. Die Lehren der Reformation wurden am prägnantesten von P. Melanchthon (»Loci theologici«) verkündet. In der Auseinandersetzung darüber herrschten Satire und Polemik vor: herausragend z. B. Huttens Kampfschriften und T. Naogeorgus' »Satyrae« gegen das Papsttum, die Dialogsatiren »Eckius dedolatus« (anonym gedruckt Erfurt 1520, gegen J. Eck) und des S. Lemnius Emporicus »Monachopornomachia« gegen Luther. Aus dem Wittenberger Kreis stammten auch P. Lotichius Secundus, der eindrucksvolle Elegien schuf, und F. Dedekind, der seiner Zeit mit der Verssatire »Grobianus« (1549) erfolgreich den Spiegel vorhielt. Moral. Erziehung war das Leitmotiv des besonders in Deutschland populären Dramas, das u. a. durch Reuchlin (»Henno«, 1497) antike Formen wieder aufnahm, von Celtis zum höfischen Festspiel verändert wurde, in den Schuldramen des G. Gnapheus und G. Macropedius, in Naogeorgus' antipäpstlichen Tragödien (»Pammachius«, 1538) und N. Frischlins grotesken Komödien (»Julius redivivus«, 1585) seine Höhepunkte erreichte und in den Prunkschauspielen der Jesuiten (u. a. J. Bidermann, N. Avancini) lange nachblühte. Jesuit war auch J. Balde, der sich mit formvollendeter persönlicher Lyrik den Ehrentitel »deutscher Horaz« erwarb, als Zeitgenossen wie P. Fleming und A. Gryphius nach dem Vorbild von M. Opitz bereits das deutsche Idiom bevorzugten und das Lateinische zunehmend auf Fachliteratur von der Art der Bergbaukunde (»De re metallica«, gedruckt 1556) des G. Agricola einengten.
 
 Das übrige Europa
 
Nicht zeitgleich, sondern abhängig von kirchlichen, politischen und kulturellen Beziehungen drang der italienische Humanismus in Europa vor, zunächst in Ungarn, wo König Matthias I. Corvinus (1458-90) für seine reiche Büchersammlung antiker Werke in Buda die Bibliotheca Corviniana gründete und in Kontakt mit Ficinos »Platonische Akademie« um 1472 Humanisten um sich versammelte, u. a. die Italiener A. Bonfini und Galeotto Marzio (* um 1427, ✝ um 1494), die die erste Geschichte Ungarns (1496) beziehungsweise die Taten des Königs (um 1484) beschrieben, und den Epigrammdichter Janus Pannonius. Philippus Callimachus (* 1437, ✝ 1496) aus Italien und Celtis führten an der Universität Krakau die neuen Studien ein und beeinflussten u. a. N. Kopernikus, der 1514 in der Denkschrift »De hypothesibus motuum coelestium« erstmals sein heliozentrisches System darlegte. Am polnischen Königshof dichteten J. Dantyszek, Andrej Krzycki (* 1482, ✝ 1537) und K. Janicki, später auch der Begründer der nationalen polnischen Dichtung J. Kochanowski sowie M. Sarbiewski, der als Jesuit katholische Ideologie in horazische Formen brachte.
 
In Frankreich setzte sich der Humanismus, obwohl schon früh in der Dichtung des Kanzlers der Pariser Universität J. de Gerson spürbar, erst durch, als deren Rektor R. Gaguin italienische und griechische Gelehrte nach Paris holte. Zu seinem Kreis gehörten u. a. G. Pico della Mirandola und der junge Erasmus von Rotterdam, v. a. J. Faber, Herausgeber theologischer Werke des Mittelalters (z. B. erste Gesamtausgabe des Nikolaus von Kues, 1514), Übersetzer der Bibel ins Französische und Kritiker der Kirche und der berühmte Gräzist G. Budaeus, der König Franz I. zur Gründung des »Collège de France« (1530) anregte. Dessen Hofpoet Jean Salmon Macrin (* 1490, ✝ 1557) wurde als »französischer Horaz« gefeiert. Als Dichter traten auch der Philologe J. C. Scaliger aus Italien und sein Schüler M.-A. de Muret hervor, Letzterer führte mit seinem »Julius Caesar« (1550) die klassische Heldentragödie in Europa ein und trug mit der lateinischen Kommentierung von P. de Ronsards Liebessonetten (1552) zum Erfolg französischer Dichtung bei. Der Holländer Johannes Dousa (* 1545, ✝ 1609), Mitglied des Pariser Pléiade-Kreises, begründete als erster Rektor der Universität Leiden (1575) dort eine Schule der Dichtkunst, an der auch so berühmte Philologen wie J. J. Scaliger und seine Schüler D. Heinsius und H. Grotius, der Schöpfer des Völkerrechts (»Mare liberum«, deutsch »Freiheit der Meere«, 1609), teilhatten.
 
In England verfügte die Universität Oxford schon Ende des 15. Jahrhunderts dank des Sammeleifers englischer Adeliger und italienischer Lehrer über die reichste Sammlung klassischer Texte außerhalb Italiens. Hier lehrte der von Ficino beeinflusste Theologe und Gründer der ersten »Public School« J. Colet und studierte der des Griechischen mächtige und juristisch gebildete Staatsmann T. More, beide Humanisten von Rang, befreundet miteinander und mit Erasmus von Rotterdam, der ihnen Werke widmete und Mores staatstheoretische »Utopia« sowie seine Epigramme 1516-18 veröffentlichte. Einen Idealstaat (»Nova Atlantis«) entwarf auch der Philosoph und Politiker F. Bacon sowie im »Novum Organum« eine auf Empirie gegründete neue Methodik wissenschaftlicher Erkenntnis. Als die größten Dichter der elisabethanischen Zeit gelten die Schotten G. Buchanan, wegen seiner scharfen Satiren im Geiste des Protestantismus v. a. in Frankreich bekannt, und John Barclay (* 1582, ✝ 1621), dessen politisch-satirischer Roman »Argenis« (zum Teil in Übersetzung) europaweit gelesen wurde, sowie der walisische Moralist J. Owen mit seinen brillanten Epigrammen. Im 17. Jahrhundert wurde die Dichtung zunehmend zweisprachig, das Latein nur noch in Frühwerken (z. B. J. Miltons Elegien, 1629) oder in Lehrgedichten benutzt (z. B. die Botanik von A. Cowley).
 
Die neulateinische Literatur Dänemarks und Schwedens wurde v. a. von Deutschland her angeregt; herausragende Autoren sind der Historiker O. Magnus, die Dichter Erasmus Laetus (* 1526, ✝ 1582, Schüler Melanchthons; bukolische und historische Werke) und J. W. Lauremberg (Satiren) sowie der Astronom T. Brahe (Lehrdichtung »Urania«). In Spanien und Portugal kamen die wesentlichen Impulse von italienischen Humanisten wie P. M. d'Anghiera, der als Kaplan Isabellas I. die Entdeckungsgeschichte der Neuen Welt schrieb. Der bedeutendste spanische Humanist, J. L. Vives, verkündete u. a. durch seine umfängliche Erziehungslehre (»De disciplinis«, 1531) von Brügge aus das Bildungsprogramm seines Freundes Erasmus von Rotterdam bis zum Verbot (1537) durch Kaiser Karl V., in Portugal wirkte an den neuen Universitäten Lissabon und Coimbra der Dichter und Historiker Antonio de Resende (* 1500, ✝ 1573) im Sinne der neuen Ideale. Als bedeutender Lyriker aus dem Kreis um Karl V. ist der Niederländer Johannes Secundus zu nennen.
 
Im 17. Jahrhundert gewann überall in Europa die nationalsprachliche Dichtung den Vorrang vor der in neulateinischer Sprache. Späte Werke neulateinischer Belletristik sind der satirische Reiseroman durch das Erdinnere (»Nicolai Klimii iter subterraneum«, 1741) des dänischen Historikers L. von Holberg und das Lehrgedicht über die Gleichheit der Menschen (»Carmen de aequalitate hominum«, 1808) des Niederländers Hieronymus van Bosch (* 1740, ✝ 1811). Das Latein blieb noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Sprache der Wissenschaft, so bei dem Franzosen R. Descartes, dem Engländer I. Newton, dem Italiener G. Vico, dem Niederländer B. de Spinoza, dem Schweden C. von Linné und den Deutschen G. W. Leibniz und C. F. Gauss.
 
 
G. Ellinger: Gesch. der n. L. Dtl.s im 16. Jh., 3 Bde. (1929-33, Nachdr. Bd. 2 u. 3 1969);
 P. Van Tieghem: La littérature latine de la renaissance (Neuausg. Paris 1944, Nachdr. Genf 1966);
 H. Rupprich: Die dt. Lit. vom späten MA. bis zum Barock, 2 Bde. (1970-73);
 
Musae reduces. Anthologie de la poésie latine dans l'Europe de la renaissance, hg. v. P. Laurens u. a., 2 Bde. (Leiden 1975);
 E. Bernstein: Die Lit. des dt. Frühhumanismus (1978);
 P. O. Kristeller: Humanismus u. Renaissance, 2 Bde. (a. d. Engl., Neuausg. 1979-80);
 G. Böhme: Bildungsgesch. des frühen Humanismus (1984);
 
Contemporaries of Erasmus, hg. v. P. G. Bietenholz u. a., 3 Bde. (Toronto 1985-87);
 A. Buck: Humanismus. Seine europ. Entwicklung in Dokumenten u. Darstellungen (1987);
 
Acta conventus Neo-Latini Guelpherbytani, hg. v. S. P. Revard u. a. (Binghamton, N. Y. 1988);
 
Höf. Humanismus, hg. v. A. Buck (1989);
 
Humanismus u. höfisch-städt. Eliten im 16. Jh., hg. v. K. Malettke u. a. (1989);
 W. Ludwig: Litterae neolatinae. Schriften zur n. L.(Neuausg. 1989);
 Humanismus, in: Lex. des MA., hg. v. L. Lutz, Bd. 5, Lfg. 1 (1990).
 
Bibliographien: Bibliographie Internationale de l'Humanisme et de la Renaissance, Bd. 1 ff. (Genf 1966 ff.);
 J. IJsewijn: Companion to neo-latin studies (Amsterdam 1977).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
neulateinische Literatur: Vom Weltmeer zum Rinnsal
 

Universal-Lexikon. 2012.

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